[März 2014] Letzte Nacht habe ich nicht so gut geschlafen. Das, und weil ich vergessen hatte, den Wecker zu deaktivieren, führte dazu, dass ich zu meiner normalen Wochenweckzeit munter wurde. Es war gegen 6:30 Uhr. Der Samstagmorgen strahlte durch das Dachfenster herein. Bilderbuchfrühlingswetter. So wie ich es vorherorakelt hatte, als ich die Woche zum Bodensee-Cleanup aufrief. “Das ist meine Chance!’, dachte ich so bei mir. Warum soll mir jemand glauben, dass ich hinter dem Projekt “Aktion Bodensee” stehe, wenn ich stets nur davon berichte wie andere die Arbeit machen, den Müll aufsammeln, sich abrackern für ein sauberes Bodenseeufer? Schreiben kann ich viel. Aber den eigenen Hintern in Bewegung setzen für die Sache? Das kann ich auch …
Weil wir heute noch einen Ausflug vor hatten, war mein Zeitfenster recht klein, aber nicht zu klein. Ich schlüpfte auf leisen Sohlen aus dem Schlafzimmer, krallte mir meine Klamotten und trottete ins Erdgeschoss, wo ich mich geschwind anzog, einen Schluck trank, mir einen Müllbeutel aus der Schublade schnappte und in den kühlen Morgen hinaustrat. Es ist Samstagmorgen! Da liegt die Welt noch im Tiefschlaf, auch wenn draußen überraschend viele Vögel einen Radau machen, dass mir die Trommelfell davon klirren. Ich verzichtete bewusst auf meine alltägliche MP3-Beschallung. Ich wollte diesen Morgen so genießen, wie er war, wollte mich bei meinem Staunen über mich selbst nicht ablenken lassen.
Auf meinem Weg zum Bodenseeufer hinunter traf ich nur wenige Menschen. Es war kurz nach 7Uhr als ich am Strand unweit des StärrSchorsch in Fischbach an die Gestade des Bodensee trat. Auf dem Wasser war bereits das Leben ausgebrochen. Nicht überall, denn nahe dem Ufer pennten ein paar Enten seelenruhig vor sich hin. Hatten letzte Nacht vielleicht zuviel gefeiert? Weiter draußen klatschende Geräusche: zwei Schwäne hatten bereits zu dieser frühen Stunde nichts besseres zu tun, als sich zu raufen. Alles in allem aber überwog die Stille. Eine alles umhüllende Stille, durchsetzt mit verzagten Lauten schlafender Blessen und Stockenten und dem leisen Plätschern der Brandung. Es war einfach herrlich!
Mir rannte aber die Zeit davon. Ich war nicht nur hier um zu genießen, ich war vor allem hier um meinen Beitrag zum Bodensee-Cleanup 1.0 zu leisten. Ich musterte den Strand, der nach dem ersten Augenschein überraschend sauber vor mir lag. Dennoch ließ die erste Dose nicht lange auf sich warten … knapp 3m von der Wassergrenze entfernt wirkte sie mit ihrem Blau wie ein Fremdkörper. Ich zückte meinen Müllbeutel und sackte die Dose ein. Ein paar Papierschnipsel hier und da wanderten in die Tüte. Aufmerksam durchkämte ich mit meinen Augen das Areal. Da – eine nicht entsorgte Grillschale. Daneben eine gebrochene Flasche. Die Reste einer frühen Grillparty.
Nahe dem Wasser nur wenig Müll. Ein paar alte Knaller von Silvester. Plastikhüllen von Kinderfeuerwerk. Kippen. Ich Anfänger hatte keine Handschuhe oder Müllgreifer dabei – nur meine Hände und Papiertaschentücher. Also funktioniere ich eines der Taschentücher als Fingerschutz um und krallte alles vom Boden weg, was nicht nach Natur aussah. Im Gebüsch grub ich eine Flasche Wodka aus. Recht schwer. Vermutlich war noch was drin. Aber um diese Uhrzeit ist das nichts für mich. Papierfetzen, Pappe, Plastiktütchen, Plastikdeckel, Plastik-x, Plastik-y … viel kleiner Plastikkram, der einem lockeren Betrachter sicherlich nicht auffällt. Wenn man aber aufmerksam ist, entdeckt man viele kleine Dinge, die achtlos weggeworfen eine Gefahr für die ziellos am Ufer herumstreifenden Enten darstellen. Ich habe keine Ahnung, ob Wasservögel Lehrgänge besuchen können, in denen sie lernen, was ungenießbarer Menschenkram ist. Ich halte das für unwahrscheinlich. Folglich ist es besser, das Zeug dem Zugriff der Tiere zu entziehen, bevor es irgendwelchen Schaden anrichten kann.
Zwischen den Bäumen … große Brocken Bau-Schaum! Meine Güte – wer kommt denn extra hierher ans Ufer, um alten Baustoff zu entsorgen? Sind die wahnsinnig oder blöd oder beides? Ich sammele alles davon ein. Der Müllbeutel füllt sich trotz des anfänglichen Eindrucks der Sauberkeit rapide.
Noch immer bin ich allein am See. Eine Joggerin hatte ich zwischenzeitlich bemerkt. Ansonsten besteht die Welt zu dieser frühen Stunde nur aus dem Bodensee, den Schwänen und Enten und mir. Eine mehr als angenehme Erfahrung. Ich drehe noch eine Runde und finde eigentlich immer was: Scherben sind da, aber glücklicherweise nur wenige. Immer wieder Folienstücke, Bierdeckel, Plastikteilchen.
Nach gut 30min beende ich meinen ersten Einsatz für die Aktion Bodensee. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch das Frühstück für die Familie zu richten ohne dass diese auch nur den Hauch einer Ahnung hat, das ich schon unterwegs war. Ich drappiere den Müllbeutel für ein Foto. Ich will selbiges gleich vom See aus verschicken. Quasi als Beweisfoto! Ich knie neben meiner Jagdbeute und fummele mich durch die Menüs meines Handys, als merkwürdige Laute mich zum raschen Aufrichten bringen. Ein erstaunlich munterer Hund kommt schweifwedelnd auf mich zu gejagt, Frauchens Rufe geflissentlich ignorierend. Er scheint mindestens genauso überrascht zu sein, mich hier zu sehen, wie ich ihn. Der Hund (fragen Sie mich nicht nach der Rasse – es war aber definitiv ein Hund!) grinst mich an wie ein Honigkuchenpferd, beäugt mich und den Müll und scheint zu verstehen. Sehe ich Anerkennung in seinem letzten Blick, als er sich doch wieder daran erinnert, wer für sein Futter sorgt? Die menschliche Einbildungskraft ist heute Morgen vielleicht zu besonders lustigen Späßen aufgelegt.
Ich werfe den ziemlich vollen Müllbeutel in eine Tonne gleich beim Parkplatz. Die Mülltonne ist ziemlich leer und wohl erst kürzlich geleert worden. Trotzdem sind zwei weitere Grillschalen samt ein paar Flaschen darin. ‘Es gibt auch anständige Menschen hier!’, geht mir durch den Kopf.
Es fühlt sich komisch an, wenn man in aller Herrgottsfrühe am Bodensee aufkreuzt und anfängt Müll einzusammeln. JA – es fühlt sich richtig komisch an. Vor allem wenn es das erste Mal ist, dass man dieser merkwürdigen Arbeit nachgeht. Wenn man mit einer Plastiktüte bewaffnet wie ein Pilzsucher über den Geröllstrand schleicht. (Wobei ich als Pilzsucher niemals eine Plastiktüte benutzen würde!) Ich habe hin und wieder den Kopf schütteln müssen, wenn ich auf allzu offensichtliche Nachlässigkeiten gestoßen bin. Der Baumüll, die Scherben, die Flaschen … Mensch, Leute! An dem Areal stehen mehrere Tonnen, direkt in den Schneisen, durch die man das Areal beim Schorsch verlassen muss. Was ist dabei, den Abfall und den Müll, den man mitgebracht hat, einfach ein paar Schritte mitzunehmen und in die Tonnen zu werfen? Was bitteschön hindert euch daran?
Mir sind bei unserem Ausflug später am Tag mehrere Kinder aufgefallen, die von sich aus ihr Bonbonpapier oder die Eis-Verpackung zum nächsten Mülleimer gebracht haben. Ohne Aufforderung der Eltern! Ich fragte mich leise, wann und warum manche Menschen das wieder verlernen.
Als ich den Bodensee mit einem letzten Blick gen Frühstück verließ, war ich ein klein wenig stolz auf mich. So etwas “Verrücktes” habe ich lange nicht mehr gemacht. Ich habe meinen Arsch (entschuldigen Sie bitte die Ausdrucksweise, aber es heißt nun mal so) bewegt. Ich werde das öfter machen. Unter der Woche habe ich leider viel zu wenig Zeit dafür. Es bleiben die Wochenenden. Und ein Morgen in der Woche oder alle zwei Wochen für den Bodensee sollte ja wohl drin sein. :-) Wenn ich nicht allein bin – und das bin ich nicht – dann ist die Wirkung solcher Reinigungsaktionen in ihrer Gesamtheit ein wertvoller Beitrag für die Umwelt und den Naturschutz am Bodensee.
Was bleibt ist die Frage: War ich der einzige Teilnehmer des Bodensee-Cleanups 1.0? Ich bin gespannt, ob ich Antworten auf die Frage bekomme …